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Geistlicher Missbrauch Schweiz

Kündigung

«Du verlierst alles wegen einer falschen Entscheidung!»

Von 2001 bis 2003 besuchte ich mit meiner Familie die Heilsarmee in Zürich. Es gab am
Ende etwas Probleme, die aber nichts mit geistlichem Missbrauch zu tun hatten. Wir
verliessen diese Gemeinde und besuchten ein Jahr lang keinen Gottesdienst. Schliesslich
nahmen wir einen neuen Anlauf und schlossen uns einer grösseren Gemeinde – nennen
wir sie M – in Dübendorf an.
Ich fühlte mich dort wohl, und ich konnte nach zwei Jahren sogar als Mitarbeiter
einsteigen. Für mich war das ein grosses Geschenk und ich dankte Gott für diese schöne
Arbeitsstelle. Als Redakteur und Übersetzer in der Verlagsabteilung konnte ich sowohl
dem Herrn dienen als auch mein sprachliches Können einsetzen. Die Tätigkeit machte mir
riesigen Spass. Es gab wirklich keinen Tag, an dem ich mich nicht gerne zur Arbeit
aufmachte.
Leider begann es dann 2006 in meiner Ehe zu kriseln. Meine Frau – eine Osteuropäerin –
war offensichtlich mehr auf den Schweizer Pass aus als auf mich. Sie reichte im Frühling
2007 die Trennung ein und stellte mich vor die Tür. Für mich brach eine Welt zusammen,
und ich vermisste die Kinder sehr. Eine harte Zeit stand mir bevor.
Allmählich gewöhnte ich mich an meine Situation. Ich wurde auch von den Mitarbeitern
und den Gemeindevorstehern getragen. Ich wurde mitunter auch mal zum Essen
eingeladen. Das schätzte ich wirklich sehr. Allerdings konnte ich mit der Zeit die ewig
gleichen Sprüche («Ich bete für dich», «Der Herr weiss, wozu das gut ist» usw.) nicht mehr
hören. Die praktische Hilfe hielt sich in Grenzen.
Einen ersten wirklichen Dämpfer erlebte ich im Sommer 2007. Nachdem in einem
Altersheim, in dem ich in der Not eine kleine Wohnung erhalten hatte, ein Brand
ausgebrochen war, musste ich ein neues Dach über dem Kopf suchen. Vorübergehend
fand ich in einem Mehrzweckgebäude unserer Gemeinde Unterschlupf – dank dem dafür
verantwortlichen Mitarbeiter-Ehepaar. Doch den Vorstehern war dies ein Dorn im Auge.
Die Herren gaben mir ziemlich deutlich zu verstehen, dass meine Anwesenheit dort
unerwünscht sei. Dabei stand das Haus die meiste Zeit leer oder fast leer. Ganz selten
war es voll belegt. Es gab somit keinen objektiven Grund, mich von dort fortzujagen. Erste
Zweifel kamen auf, ob ich mich bei der Gemeinde M noch am richtigen Ort befand. Ist das
christliche Nächstenliebe? Und wer sind die Vorsteher, die derartige Entscheidungen
treffen? Ausnahmslos Christen, die über schöne, moderne und grosszügige Wohnungen –
die übrigens der Gemeinde gehören – verfügen und selbst keine Probleme haben.
Ein Arbeitskollege nahm mich in der Folge bei sich zu Hause auf, bis ich eine neue
Wohnung fand. Mein Leben normalisierte sich langsam. Es wurde auch klar, dass meine
Ehe definitiv gescheitert war; mit meiner Frau war nicht mehr zu reden. Im Herbst 2007
schloss ich emotional mit der Ehe ab, dieses Kapitel war für mich beendet. Es fehlte nur
noch der Scheidungsstempel.
Ich hatte lange für meine Frau gebetet, aber es hatte nichts genützt. Das Alleinsein war für
mich sehr schwierig und ich fing an, Gott um eine neue Beziehung zu bitten. In unserer
Gemeinde gab es eine Frau, die mir schon länger einen guten Eindruck machte und mir
gefiel (Nein, nein, ich hatte sie nicht schon während meiner Ehe begehrt!). Ich fragte Gott,
ob diese Frau – nennen wir sie Hilde; sie hat übrigens auch eine schlimme Ehe hinter sich,
wurde noch vor mir gerichtlich getrennt und hat wie ich zwei Kinder – vielleicht die Richtige
für mich sei. Das ging sicher ein halbes Jahr so, bis ich mir der Sache sicher war. Mit der
ehrlichen Überzeugung, richtig zu handeln, sprach ich Hilde im Frühling 2008 an. Und
tatsächlich entwickelte sich eine wunderschöne Partnerschaft.
Wir waren uns beide bewusst, dass unsere Beziehung wohl nicht allen gefallen würde.
Aber wir waren uns angesichts unserer zerstörten Ehen – wir waren ja beide im biblischen
Sinne unschuldig – sicher, dass wir nichts Unrechtes tun würden. Es würde sich im Verlauf
der Beziehung sogar immer mehr zeigen, dass der Zeitpunkt richtig war – gerade auch für
die Kinder. Wir fühlten uns von Gott bestätigt.
Doch wir hatten die Rechnung ohne die Vorsteher und Ältesten gemacht. Man ging mit
uns hart ins Gericht und verbot uns, uns zu sehen. Das sei vor Gott und der Gemeinde
nicht richtig. Wir müssten zuerst unsere Scheidungen hinter uns bringen. Aber man gab
uns auch zu verstehen, dass wir selbst im geschiedenen Zustand mit Gegenwind aus der
Gemeinde und aus dem Ältestenrat rechnen müssten. Wir fühlten uns, als würde man uns
den Boden unter den Füssen wegziehen. Eine solch heftige Reaktion hätten wir dann
doch nicht erwartet. Mir drohte man sogar mit der Kündigung. Für kurze Zeit schluckten
Hilde und ich diese bittere Pille. Doch für mich war schnell klar, dass ich mir das nicht
bieten lassen würde – gerade auch wegen einer früheren Erfahrung mit einer destruktiven
Sekte. Hilde brauchte zwar ein bisschen länger, aber auch sie leistete schliesslich
Widerstand.
Wir besassen also die Unverschämtheit, der Gemeindeleitung bzw. den Vorstehern die
Stirn zu bieten. Die Folge: Ich wurde im Mai 2008 entlassen (Begründung: Ehebruch),
obwohl ich sehr gute Arbeit geleistet hatte. Wahrscheinlich wurden wir auch vom
Ältestenrat aus dem Gottesdienst ausgeschlossen, wir bekamen das jedoch nicht mehr
bewusst mit.
Man gab Hilde und mir nicht einmal Gelegenheit, über die Angelegenheit in Ruhe zu
sprechen. Es wurde einfach das Urteil gefällt. Nur ich konnte meine Sichtweise kurz den
Vorstehern darlegen, aber die Meinungen waren bereits gemacht. Ich sei blind vor Liebe,
müsse die Situation und das Wort Gottes nüchtern betrachten.
Als ich andeutete, den Fall möglicherweise vor Arbeitsgericht zu bringen, erhielt ich
folgende sinngemässe Antwort: «Es ist eines Christen unwürdig, mit weltlichen Mitteln
gegen Glaubensgeschwister zu kämpfen.»
Von einem Arbeitskollegen und Mitglied des Ältestenrats musste ich mir noch Folgendes
anhören (wörtlich!): «Ich fühlte mich verarscht, als ich das hörte. … Du lebst im offenen
Ehebruch! … Du verlierst alles wegen einer falschen Entscheidung!»
Und Hilde erhielt von einem Prediger und Ältesten einen Brief mit folgendem Schlusssatz:
«Ich kann nur hoffen, dass dies nicht irgendwann ein böses Erwachen wird.»
Und wissen Sie was? Die Gemeinde M arbeitet mit Korrespondenten zusammen, die nicht
christlich gesinnt sind und einen völlig weltlichen Lebenswandel führen (z. B. Konkubinat).
Und diese Korrespondenten liefern Artikel für die Zeitschriften der Gemeinde M! Ich habe
den Vorstehern diese Doppelmoral vorgehalten, aber ohne Erfolg. Ein fest angestellter
Mitarbeiter habe einen anderen Status als ein Freelancer. Ach so.
Zur Krönung wurde auch noch die ganze Belegschaft per E-Mail über meine Entlassung
inkl. Begründung informiert.
Die ganze Angelegenheit hinterliess bei mir durchaus ein Trauma. Hilde und ich fingen an,
gewisse Dinge im christlichen Glauben zu hinterfragen. Wir verloren zunehmend die
Freude am Glauben und kehrten der Bibel, dem Gebet und dem Gottesdienst immer mehr
den Rücken. Mittlerweile haben wir auf den Glaubensweg zurückgefunden, aber
zumindest bei mir ist es irgendwie nicht mehr dasselbe.
Zwischenzeitlich arbeitete ich für drei Monate bei einer Sprachschule. Aus wirtschaftlichen
Gründen konnte ich dort jedoch nicht bleiben und bin weiterhin arbeitslos – im Namen
Gottes.